Die von dem Hamburger Architekten und Städtebauer Professor Hans Bernhard Reichow (1899-1974) im Auftrag der wbg geplante und von 1962 – 1966 gebaute, weitgehend geschlossen erhaltene Wohnanlage, ist in ihrer städtebaulichen Konzeption und Umsetzung für das Bauen in Bayern nach 1945 ohne Beispiel. Die Anlage bildet das einzige konsequent umgesetzte Modell der organischen Stadtbaukunst und Architektur im Freistaat. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege stellte im Mai 2006 die Denkmaleigenschaft fest und leitete im Januar 2007 formell den Nachtrag in die Denkmalliste ein.
Für Baureferent Wolfgang Baumann ist die Unterschutzstellung als Denkmal ein bedeutender Schritt. "Gleichwohl müssen wir gewährleisten, dass in der Siedlung mit immerhin 1190 Wohneinheiten auch die zeitgemäßen Modernisierungsmaßnahmen möglich sind, ohne den Charakter des Ensembles zu zerstören. Dies ist uns nun mit einem Gesamtkonzept gelungen, das Vorbildfunktion auch für andere Siedlungen haben kann." Aus der Sicht des Eigentümers der Wohnanlage – der wbg Nürnberg GmbH Immobilienunternehmen - sind für ein nachhaltiges Fortbestehen der Siedlung unterschiedlichste Anforderungen zu erfüllen: Die Gebäude sind in großem Umfang modernisierungsbedürftig und müssen in diesem Zusammenhang an die Forderungen der Energieeinsparungsverordnung angepasst werden. Eine geplante Aufstockung der Gebäude soll die Weiterentwicklung der Wohnanlage bewirken. Andererseits werden der einmalige Charakter und Wert der seit der Entstehungszeit nahezu unveränderten Siedlung sowohl hinsichtlich der Wohnungen und Freiräume als auch der Lage im Stadtgebiet hoch eingeschätzt.
Im Rahmen eines Modellprojektes wurde ein Gebäude der Siedlung in der Bernadottestraße modernisiert und aufgestockt. Zur Erhaltung des einmaligen architektonischen Charakters der Siedlung veranlasste die wbg die Aufstellung eines Rahmenplans, dessen Grundlagen in mehreren Sitzungen mit der wbg, dem Baureferat und dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege gemeinsam erarbeitet und abgestimmt wurden. Ziel des Rahmenplans ist die Festschreibung eines nachhaltigen Modernisierungskonzeptes, das sowohl der Forderung nach Energieeinsparung und zukunftsfähiger Wohnungsbewirtschaftung durch Gewinnung zusätzlichen Wohnraums, als auch der Forderung nach dem Erhalt des architektonisch-städtebaulichen Charakters Rechnung trägt.
Als Ergebnis wurden die Rahmenbedingungen für ein denkmalverträgliches Modernisierungskonzept mit Aufstockung der Baukörper sowie die Durchführung des Nachtragsverfahrens zur Unterschutzstellung der Siedlung in die Denkmalliste vereinbart. "Das Modernisierungskonzept bietet nun die Möglichkeit, als Modell für die Vereinbarkeit von Denkmalschutz und Energieeinsparung gerade bei Siedlungen der Nachkriegszeit überregional beispielgebend zu sein", so der Baureferent.
Das Gebiet wird erschlossen durch sackgassenartige Straßenarme, an denen drei- und viergeschossige Reihenbauten fächerartig aufgereiht sind. Am Ende der Straßenarme schließen neungeschossige Punkthäuser das Baugebiet ab. Hauptwohnräume und Balkone in den teils geknickten, teils auf gekurvter Grundlinie geführten Gebäudereihen sind nach Südwesten ausgerichtet. Die Fußwege zu den Hauseingängen sind von den Fahrstraßen strikt getrennt und führen durch die parkartig angelegten, großzügigen Grünflächen. Garagenhöfe und Parkplätze sind an den Straßenabzweigungen und den Wendeschleifen der Stichstraßen angelegt.
Die Hauszeilen sind unterschiedlich farbig gestrichen. Belebend wirken auch die zickzackartig gestalteten, zwischen Wandscheiben und schräg zulaufenden Loggienbalkonen wechselnden Fassaden. Die Eingangsfronten der Baukörper werden aufgelockert durch eine Schrägstellung der angefügten Treppenhäuser und ein unter der Traufe durchlaufendes Fensterband im Mezzanin. Zur Anlage gehört die Carl-von-Ossietzky-Schule, die Reichow im Pavillonsystem gestaltet hat. Unterschiedliche, durch Gänge verbundene Baukörper gruppieren sich U-förmig um einen zentralen Hof. Der zweigeschossige Zentralflügel ist durch drei in Reihe geschaltete Pausenhöfe aufgelockert. Alle Trakte sind großzügig durchfenstert, die Klassenräume beidseitig belichtet.
Hans Bernhard Reichow verstand die Stadt als sich ständig verändernder Organismus. Der von ihm geprägte Bergriff der "Stadtlandschaft" meinte eine neue städtebauliche Ordnung und Gestaltung, die zum einen die topographischen und geographischen Stärken einer Ansiedlung berücksichtigt, andererseits die ausufernden Städte der Nachkriegszeit reguliert, aber zugleich eigene kleine Mikrokosmen entstehen lässt, in denen die Bewohner eine komplette Infrastruktur vorfinden. Dieses Verständnis setzt sich fort in einem verhaltensbestimmten Wohnungsgrundriss, einer kompletten Stadttechnik sowie dem gleichberechtigten Nebeneinander von Auto und Fußgänger. Organisches Bauen meint nach Ansicht Reichows aber auch organoide Formen und ein an das natürliche Verhalten der Menschen angepasstes Bauen.
Hinweis für die Medien:
Weitere Informationen erhalten Sie im Hochbauamt, Bereich Denkmalschutz und Denkmalpflege, Telefon (0911) 231-4274, sowie der wbg Nürnberg GmbH, Bereich Allgemeine Technische Aufgaben, Telefon 80 04-2 70.