Vorstellung der Ergebnisse der Begleitforschung des Modellprojektes "Olga"

Vorstellung der Ergebnisse der Begleitforschung des Modellprojektes "Olga"

Die Idee

Am Anfang stand eine Idee, die verschiedene Menschen zusammenbrachte: Im Alter nicht alleine zu leben! Darunter verstanden die Projektinitiatorinnen jedoch nicht die herkömmlichen Wohnformen im Alter - das Leben bei ihren Kindern bzw. in Alten- oder Pflegeheimen – beides Alternativen zum Verbleib in der angestammten Häuslichkeit. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen stand die Sicherung, vielleicht auch Steigerung der Lebensqualität im Alter, die in der Vorstellung der Frauen durch verschiedene Merkmale charakterisiert ist. Zentral dabei sollte der Erhalt der Autonomie sein, d.h. im Alter nicht verwaltet und nicht passive Empfängerinnen von Dienstleistungen zu werden. Konkret bedeutete dies, weitestgehend selbst bestimmen zu können, wie das Leben im Alter verläuft: beispielsweise den Tagesablauf möglichst individuell zu gestalten und in selbst gewählter Gemeinschaft aktiv zu bleiben bzw. zu werden. Sozialkontakte in unterschiedlichen Ausprägungen und eine vielfältige Art von Gemeinschaft sollte gegen eine Vereinsamung im Alter vorbeugen. Langfristig stellen sich die Initiatorinnen vor, in ihrer Lebensgemeinschaft auch bei Hilfe- und Pflegebedürftigkeit möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu bleiben, um in hohem Maße ein selbstständiges Leben führen zu können.

Die Geschichte

Begonnen hat alles Anfang der 90er Jahre. Sieben Frauen machten sich auf den Weg, ihre Idee des selbst bestimmten Wohnens im Alter zu konkretisieren und zu realisieren. Der Weg erwies sich als steinig und voller Hürden bei der Suche nach einer geeigneten Immobilie und einem Kooperationspartner. Denn die Strukturen sowohl der Bauförderung als auch der Altenhilfe sind noch zu stark an den herkömmlichen Wohnformen ausgerichtet. Im Jahr 2000 fand die Projektgruppe schließlich in der wbg Nürnberg einen geeigneten Kooperationspartner. Ohne diese enge und durchwegs erfolgreiche Kooperation wäre das Wohnprojekt „Olga – Oldies leben gemeinsam aktiv“ nicht entstanden.

Nach längerer Suche fand die Projektgruppe das Gebäude in der Chemnitzerstraße in der Siedlung Nordostbahnhof. Modernisierung und Umbau erfolgten von Mai bis Dezember 2003. Dabei räumte die wbg den Frauen bereits in der Planungsphase und während des Umbaus zahlreiche Möglichkeiten der Mitbestimmung ein. So konnten sie sowohl bei der Gestaltung der einzelnen Wohnungen, der Gemeinschaftsflächen als auch bei der Umfeldgestaltung ihre Wünsche und Vorstellungen einbringen. Aufgrund der baulichen Veränderungen standen die Frauen allerdings vor einer weiteren Hürde: 11 Wohnungen standen nun zur Verfügung, die Gruppe musste um vier weitere Mitglieder erweitert werden. Nach einer längeren Gruppenfindungsphase konnten im Dezember 2003 nunmehr 11 Frauen in das Haus der Chemnitzerstraße 2-4 einziehen.

Die wbg Nürnberg GmbH Immobilienunternehmen investierte in die Modernisierung und den Umbau des Anwesens ca. 1 000 000 Euro. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat das Projekt als vorbildlich und überregional eingestuft und förderte es mit 175 000 Euro als Baukostenzuschuss. Dadurch reduzierte sich die Miete für die Frauen von 7,50 Euro auf 6,20 Euro pro m². Die wbg beauftragte eine wissenschaftliche Begleitung, die während der ersten zwei Jahre untersuchen sollte, wie sich das Zusammenleben der Gruppe gestaltet und welche Perspektiven sich aus dem Modellversuch ergeben. Die Kosten hierfür wurden mit 12 000 Euro durch die Bayerische Oberste Baubehörde im Staatsministerium des Innern bezuschusst.

Das Ergebnis

Entstanden ist ein Haus mit seniorengerechten Wohneinheiten und einem eigenen Garten zur gemeinschaftlichen Gestaltung und Nutzung. Es bietet zwölf Wohneinheiten, eine Wohnung ist der gemeinschaftlichen Nutzung vorbehalten. Die wbg konnte altengerechtes bzw. barrierefreies Bauen in dem Maß umsetzen, wie dies im Rahmen einer Altbestandssanierung möglich ist. Durch den Anbau von Laubengängen (im Erdgeschoss mit ebenerdigem Auslauf), verbunden mit einem Aufzug, sind alle Wohnungen mit einem Rollstuhl zugänglich. Eine weitere Steigung der Wohnqualität erfolgte durch den Anbau von Balkonen, im Erdgeschoss mit einem direkten Zugang zum Garten. Das Haus ist von Grünanlagen umgeben und der auf der Südwestseite des Hauses liegende Garten dient der privaten Nutzung und freien Gestaltung der Mieterinnen.

Zentrale Bedingungen für das Gelingen

Das Leben in einer Wohn- oder Hausgemeinschaft entspricht in der Regel nicht der    (Wohn-)Sozialisation der heute älteren Menschen. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich die Olga-Frauen auf ein Gruppenexperiment einlassen, das für ältere Menschen eine große Herausforderung darstellt. Die erste Bilanz ist durchwegs positiv. Allerdings liegen den anfänglichen Erfolgen zentrale Bedingungen zugrunde.

An erster Stelle steht eine verbindende Idee, der eine offensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Alter(n) vorausgegangen ist. Die Projektinitiatorinnen haben sich mit den negativen Perspektiven des Alterns konfrontiert und das gemeinsame Vorhaben nicht sozialromantisch verklärt sondern realistisch Möglichkeiten und Grenzen des gemeinschaftlichen Lebens diskutiert. Aufgrund der Generationenzugehörigkeit, schichtspezifischen Herkunft sowie partiell vergleichbaren Sozialisations- und Lebenserfahrungen teilen die Frauen gemeinsame Normen und Werte. Wichtig für das Gelingen eines Wohnprojekts mit einem solch hohen Anspruch an die Gemeinschaft ist neben Motivation und Eigeninitiative ein hohes Maß an psychosozialer Kompetenz. Beziehungs-, Kompromiss- und Konfliktfähigkeit sowie ein ausgeprägtes Reflexionsvermögen gehören ebenso dazu wie eine gehörige Portion Mut.

Weitere Grundlage des Zusammenlebens in der Hausgemeinschaft sind Strategien und Instrumente zur internen Steuerung. Bereits vor dem Einzug wurden alle relevanten Punkte des Zusammenlebens in die Planung einbezogen sowie alle Eventualitäten bedacht und in ein Konzept sowie den Gesellschaftsvertrag gefasst. Konzept und Vertrag sind so gestaltet, dass Spielräume für Veränderungen bleiben, denn den Olga-Frauen war immer bewusst, dass sich die perfekte Gemeinschaft und Selbstorganisation trotz allen Vorplanens nicht im Vorhinein planen und mit normativem Druck durchsetzen lassen.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die gelungene Kooperation zwischen Olga und der wbg, die den Frauen eine umfangreiche Mitbestimmung bereits bei der Planung des Bauvorhabens eingeräumt hat. Dazu gehört auch eine Realisierung des Projekts auf Mietbasis. Die Gruppe tritt der wbg gegenüber als Gesamtmieterin auf und hat damit die Entscheidungsfreiheit über die Belegung der Wohnungen. Darüber hinaus sind die Mietwohnungen für diejenigen Bewohnerinnen erschwinglich, die ein Projekt auf Eigentumsbasis nicht mittragen könnten. Für die wbg reduziert sich der Kosten- und Verwaltungsaufwand, da die Gruppe die Verwaltung des Hauses und das Zusammenleben in eigener Regie regelt. Als Wohnprojekt auf Mietbasis, in Kooperation mit einer Wohnungsbaugesellschaft, ist dieses Modell gegenseitiger Unterstützungsmöglichkeit im Bedarfsfall in der Bundesrepublik bisher einzigartig.

Auch nach der Umbauphase unterstützt die wbg das Wohnprojekt, wo immer dies möglich ist. Ihr Verdienst ist es, gemeinschaftliches Wohnen von älteren Menschen in ganz normalen Wohnhäusern zu ermöglichen. Ergebnis der erfolgreichen Zusammenarbeit ist die durchwegs gelungene Ausgestaltung der Immobilie und ihres direkten Umfeldes. Diese bietet insgesamt die geeigneten Rahmenbedingungen für ein selbst bestimmtes und selbst organisiertes Wohnen. Im Bereich der Wohnungswirtschaft ist die Art der Kooperation wie zwischen der wbg und Olga bisher eine Ausnahme. Denn nach wie vor stehen Wohnungsunternehmen in Deutschland solchen Projekten großenteils ablehnend gegenüber, insbesondere dann, wenn sie sich durch einen hohen Grad an Mitbestimmung, wie im Fall von Olga, auszeichnen.

Resumee:

Das Projekt „Oldies leben gemeinsam aktiv“ zeigt, wie selbst organisiertes Wohnen als Alternative zu den herkömmlichen Wohnformen für ältere Menschen aussehen kann. Bisher empfinden die Projektbewohnerinnen den Gruppenprozess als sehr bereichernd. Im Hinblick auf die Sicherung der Lebensqualität ist die Prognose günstig. Die Olga-Frauen haben die Mühe und den Aufwand nicht gescheut, sich Möglichkeiten der Selbstbestimmung gegen viele Widerstände zu erkämpfen, und leben heute in einer frei gewählten Gemeinschaft, die sehr viel persönlicher und vertrauter ist, als sie in herkömmlichen Einrichtungen des Seniorenwohnens entwickelt werden kann. Erste Erfahrungen mit der Selbst- und Nachbarschaftshilfe nach 18 Monaten des Zusammenlebens zeigen, dass sich das Konzept bislang bewährt. Das Wohnprojekt Olga ist mittlerweile im Stadtteil bekannt und integriert. Das bestätigt die repräsentative Befragung der Bewohnerinnen und Bewohner in der Siedlung Nordostbahnhof. Eine deutliche Mehrheit (über 60%) der Befragten geben an das Projekt zu kennen. Über 90 % der Befragten bewerten die Ansiedlung des Projekts in ihrem Stadtteil als sehr positiv. Zu diesen positiven Ergebnissen hat ganz wesentlich das Engagement der Frauen beigetragen, die sich aktiv am Stadtteilleben beteiligen. Vorteilhaft war auch, dass im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ im Stadtteil ohnehin eine ganze Reihe von Gemeinschaftsaktivitäten entwickelt wurde und deshalb eine besondere Aufmerksamkeit für Initiativen wie die von Olga vorhanden ist. So beteiligen sich die Frauen an zahlreichen Arbeitskreisen und Initiativen. Insgesamt stößt das Projekt bei den Stadtteilbewohnern auf positive Resonanz und regt sie zur Auseinandersetzung mit der eigenen Altersplanung an.

Ausblick:

Was den weiteren Fortgang des Wohnprojekts betrifft, so zeichnen sich mindestens zwei grundsätzliche Fragen ab, die bislang nicht geklärt sind. Die erste Frage bezieht sich auf das Schicksal von pflegebedürftigen Bewohnerinnen. Was geschieht, wenn eine oder mehrere Bewohnerinnen in größerem Umfang pflegebedürftig und/oder an Demenz erkranken werden? Die zweite Frage betrifft die Aufnahme und Integration neuer Mitglieder ins Wohnprojekt. Dabei geht es zum einen darum, wie die internen Entscheidungsprozeduren im Fall von Aufnahmeverfahren aussehen sollen. Wichtiger noch ist es aber, inwieweit die Integration neuer Mitglieder in die Gruppe gelingen wird, die den stark identitätsstiftenden Prozess der Projektentwicklung nicht miterlebt haben. Weiterhin steht die Bewährungsprobe der Steuerungsinstrumente noch aus. Ihre Vor- oder Nachteile werden sich im Laufe der Zeit erweisen, vor allem dann, wenn sie ihre Qualität in Konfliktsituationen unter Beweis stellen müssen.

Die Tragfähigkeit der Selbsthilfe, die den Anspruch hat, eine Heimunterbringung zu vermeiden bzw. hinaus zu zögern und einen Beitrag zum längerfristigen Erhalt physischer und psychischer Gesundheit zu leisten, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenso wenig abschließend beurteilt werden wie der Weiterbestand des Projekts insgesamt, wenn sich beispielsweise die Gruppenzusammensetzung verändert.

Abschließende Handlungsempfehlungen:

Neben den klassischen Einrichtungen des Seniorenwohnens fördern die Kommunen auch die Entwicklung von Netzwerken auf Stadtteilebene. In diesem Rahmen können auch Projekte gemeinschaftlichen Wohnens eingebettet werden, wie das im Fall von Olga sehr gut gelungen ist. Solche oder ähnliche Lebens- bzw. Wohnmöglichkeiten wie das Wohnprojekt Olga sollten für eine breitere Bevölkerung zugänglich werden, das gilt vor allem auch für Menschen mit geringem Einkommen. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei quartiersbezogenen Wohnkonzepten zu, in denen Wohnmodelle einen Bestandteil eines umfassenden Konzepts darstellen. Sie bieten die Möglichkeit einer kleinräumigen Vernetzung von Betreuungs- und Wohnstrukturen im Quartier.

Um die Anzahl von interessierten Menschen aber auch Trägern, die neue Wohnformen verwirklichen möchten, zu erhöhen, sind spezifische externe Steuerungsinstrumente notwendig. Hier sind Bund, Land und Kommune gefordert, geeignete Fördermittel und Förderrichtlinien, sowie gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Dabei sollte die Vielfalt möglicher Wohnformen berücksichtigt werden. Das Konzept von Olga ist ein gelungenes Beispiel, denkbar sind jedoch auch Projekte beispielsweise mit weniger aber auch mehr Gemeinschaftsleben, als dies bei Olga der Fall ist. Zur Entwicklung dieser Vielfalt bedarf es auch einer Umorientierung der Altenhilfe, die bisher auf die herkömmlichen Lebens- bzw. Wohnsituationen alter Menschen (allein lebend, in der Familie, im Alten- oder Pflegeheim) zugeschnitten ist. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie etwa den Niederlanden, besteht auf allen Planungs- und Entscheidungsebenen noch ein Nachholbedarf an Mitbestimmungsbereitschaft auf Seiten der Senioren sowie bei Architekten und Wohnungsunternehmen die Bereitschaft, solche Möglichkeiten einzuräumen. Bisher haben nur wenige Unternehmen den Vorteil dieser Art von Kooperationen erkannt. Deshalb fällt es den Gruppen in der Regel schwer, geeignete Objekte und die notwendigen institutionellen Partner zu finden.

Alternativen eines gemeinschaftlichen Wohnens im Alter werden bisher in der breiteren Öffentlichkeit nur wenig wahrgenommen. Um die gesellschaftliche Akzeptanz für diese Art des Wohnens zu erhöhen, muss diese Perspektive viel stärker als bisher öffentlich vermittelt werden. Dabei kommt es darauf an, Menschen zu motivieren, sich möglichst frühzeitig damit auseinander zu setzen, welche Möglichkeiten gemeinschaftlichen Wohnens im Alter gegeben sind und welche für sie infrage kommen. Hier sind finanzierte professionelle Beratung und Unterstützung, die den Initiatoren von Wohnprojekten den Weg zu einer gemeinschaftlichen Wohnform ebnen, dringend geboten.

Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung sind veröffentlicht.


<link file:502 _blank download herunterladen der datei>Rede des wbg-Geschäftsführers Peter H. Richter
<link file:503 _blank download herunterladen der datei>Rede der Bundesministerin Renate Schmidt
<link file:504 _blank download herunterladen der datei>Rede des Staatsministers Dr. Günther Beckstein
<link file:505 _blank download herunterladen der datei>Zusammenfassung


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